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| Robert Gernhardt 1937 - 2006 |  |
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30. Juni 2006
DIE NACHRICHT...
Heute, am 30. Juni 2006, hat uns ROBERT GERNHARDT für immer
verlassen.
Es ist eine Erfahrung, die wohl viele Menschen machen müssen. Man
weiß, dass ein geliebter und geschätzter Mensch sterben wird, man
sieht ihn immer kleiner werden, leidet mit... Und wenn er dann
tatsächlich geht, ist es, als wenn das Alles nicht gewesen wär
- die Keule trifft. Und sie trifft ungeheuer schmerzhaft.
Wie werden wir ihn vermissen...
Demnächst mag die Zeit kommen, dass der Schreiber dieser Zeilen ein paar
persönliche Erinnerungen beisteuert zu all den Artikeln und Berichten, die
aktuell zu lesen & zu hören & zu sehen sind.
Erinnerungen etwa an das "Streitgespräch" über
"Letzte Worte", das wir 1999 bei der Verleihung des
ELCH vor dem letzten Blatt des Horst Janssen führten,
oben in der Ausstellungsetage des Alten Rathauses in Göttingen.
Oder nach dem Tode seiner geliebten Mutter, ebenfalls hier in
Göttingen; da war er geradezu beleidigt, daß sie nun doch
noch vor ihm gehen musste (mit über 100 Jahren). Oder bei einem
Gang zu Lichtenbergs Grab auf dem Bartholomäus-Friedhof -
das fand er nun wieder richtig gut, dass die Stadt und die
Lichtenberg-Gesellschaft sich ins Zeug gelegt hatten, "seinem"
persönlichen Helden endlich ein wenig gepflegter die Ehre zu
erweisen... Oder aber auch, als Göttingen seinen nun ja auch
schon verstorbenen Freund F.K. Waechter 1980 fast aus der
Stadt gewiesen hat, weil der - angeblich - Goethe & Schiller mit
einem Denkmalsentwurf auf dem Göttinger Kunstmarkt beleidigt
habe...
Gernhardt war mit Leib und Seele "Frankfurter",
weil, da lebte er seit 1964.
Gernhardt war aber immer noch und immer wieder
"Göttinger", weil er da seit 1946
lebte und prägende Erfahrungen machen durfte - das hat er
konsequent auch belegt.
Schreiber dieses mag bis heute das Gedicht auf seine Mutter, neben gut 1000
anderen, am liebsten :
ZUM MUTTERTAG
Mama - kein einziges Wort auf dieser Welt das
so viele Ma`s enthält wie Mama. Ja - Kaktushecke hat
mehr Ka`s Braunbärbabies hat mehr Be`s Erdbeerbecher hat
mehr E`s Schamhaaransatz hat mehr A`s - Aber Ma`s ? Koblenz
hat keine Ma München hat so gut wie keine Ma Mannheim
hat nur eine Ma doch welche Stadt hat zwei Ma ? Na ?
Göttingen Ja ! Denn dort wohnt meine Mama.
Schreiber dieser Zeilen weiß nicht, ob er das letzte Gedicht von RG,
daß ihm zu Augen kam, wirklich mag. Doch, höre
ich grade, er mag es, auch wenns ihm die Kehle zuschnürt.
VON VIEL ZU VIEL
Ich bin viel krank. Ich lieg viel wach. Ich
hab viel Furcht. Ich denk viel nach.
Tu nur viel klug !
Bringt nicht viel ein. Warst einst viel groß. Bist
jetzt viel klein.
War einst viel Glück. Ist jetzt
viel Not. Bist jetzt viel schwach. Wirst bald viel tot.
So traurig kann ich den Text natürlich nicht enden
lassen. Da muß jetzt noch was Gspaßiges her, wie
Mit-Elch Gerd Polt es ausdrücken würde, und daher
ist jetzt ein anderer Mit-Elch dran, nämlich Harry Rowohlt,
der in einem eher unbekannten Text zum 60. Geburtstag von Robert ein
paar Sachen geraderückte und den Kollegen aufs Menschlichste
zurückholte. Gibt´s jetzt als Zugabe. Hat Harry bestimmt
nichts dagegen. Aber Robert schon.
Rede auf Robert, frei gehalten
oder :
Wie R. Gernhardt mal in echt die Spucke wegblieb.
... und an der oberen Überschrift kann man
bereits den gesamten Irrsinn der Rechtschreibreform ermessen : Eine
Rede wird frei gehalten, damit nach danach freigehalten wird.
Lieber Zobel : Wenn Du diese Rede hörst, habe ich sie bereits
aufgeschrieben. Lieber Zobel : Wenn Du diese Rede liest, habe ich
sie bereits gehalten. Ich erinnere mich an unsere erste
Begegnung, als wäre sie gestern gewesen, weil Du mich immer
wieder an unsere erste Begegnung erinnerst, als wäre sie gestern
gewesen. Ich soll nämlich - so um 1965, 1966 herum - statt einer
Begrüßung zu Dir gesagt haben : "Na, Dir fällt
ja ooch nischt mehr ein." - "Na warte", hast Du damals
gedacht, "na warte", und seitdem, stelle ich mir so vor,
denkst Du jeden Tag, wenn Dir doch was einfällt, an mich, also
praktisch ständig. Da fällt mir ein, wie Du Dich mal
gegenüber Fritz Weigle beschwertest, Du, Robert, erwähntest
ihn, Weigle, ständig in Deinen Werken, er, Weigle, Dich dagegen
in seinen nie. Woraufhin Weigle sagte : "Du ahnst ja noch nichts
von meinem Magnus Opus : DER ERWÄHNTE." Oder wie wir
mal muffig frühstückten, ich mit Messekater, Du mit
Messegastgeber-Cafard. Du : "Ich verstehe nicht, wie man Tee
ohne Milch trinken kann." Ich : "Ich verstehe nicht,
wie man Tee mit Milch trinken kann." Du : "Aus dem
Großen Sendesaal des Funkhauses in Hannover hörten Sie :
die Frühstücksdiskussion." (Diese Geschichte
erzählte ich mal in Altenburg Sascha, dem dortigen Veranstalter
einer Lesung, und der sagte schwer beeindruckt : "Eifrnubblbulle,
und do wörtr bletzlich uff Sendung ?") Oder wie Du Dich
darüber beschwertest, daß ich immer so schaurig mit meinem
Brief von Alfred Polgar angebe (Ich habe nämlich einen Brief von
Alfred Polgar.): "Ja,ja,ja, Du hast einen Brief von Alfred
Polgar. Das wissen wir allmählich, daß Du einen Brief von
Alfred Polgar hast." Ich : "Allerdings. Ich habe einen
Brief von Alfred Polgar. Du hast keinen Brief von Alfred Polgar."
Du : "Meine hat alle der Russe." (Oder wie wir Dich
und Knallwise in Eurer Toskana besuchten, wo der PCI gerade bei den
Kommunalwahlen 72% abgeräumt hatte. Du : "Da ist man nun
dreimal vorm Russen abgehauen, und dann das.") Oder wie Du
mich (beim Frühstück, klar) fragtest : "Du kennst doch
das Kloster Germerode ?" Ich : "Nö." Du :
"Ich frage mich die ganze Zeit, ob das salisch, merowingisch,
romanisch oder was ist." Ich : "Du hast doch diese
protzige Brockhaus-Enzyklopädie; schlag doch nach." Du
: "Das ist eine gute Idee. Ich schlag`s nach, und Du liest vor."
Ich (schräg gegenüber von GERMERODE das Stichwort
GERNHARDT, ROBERT bemerkend) : "Jetzt hätte ich den ganzen
Sums über GERMERODE vorlesen, "Na bitte, romanisch"
sagen, den Band zuklappen und zurück ins Regal stellen sollen."
Du : "Das haben schon ganz andere versucht."
Schreiber dieser Zeilen gibt zu : Das ist ja nun wieder zu
sehr Harry, und zu wenig Robert, oder umgekehrt. Jedenfalls dem
Anlass nicht angemessen. Vermutlich. Ich ergänze daher. Es
war, als Robert im Krankenhaus lag wegen der Herzkasperleien, ich
glaub, so in 2000. Er fand seine Krankenschwester (wie jeder Mann,
der eine Krankenschwester sein eigen nennen darf) nett, und diese
Schwester wars besonders, weil sie ihn bei der Einlieferung und nach
einem Blick auf sein ärztliches Dossier verblüfft gefragt
hatte : "Sie sind DICHTER ? Ich hatte hier noch nie einen
DICHTER !" Nun war grad seiner neuer Gedichtband-Band "Im
Glück und anderswo" rausgekommen, er fragte, ob ich ein
"Lieblingsgedicht" habe, und ich hatte eins, weils es mir
so vorkam wie ein Zen-Haiku, nur mit anderen Mitteln.
Schlafenszeit
Reck ich die Hand, ist da ein Hund. Streck ich den
Fuß, ist da ein Katz. Dreh ich den Kopf, ist da ein
Du : So hat ein jedes seinen Platz.
Anderntags
telefonierten wir wieder; und er berichtete, die Schwester sei mit
dem frischerworbenen Buch zu ihm marschiert und habe es sich
signieren lassen. Fand er gut. Dann habe er ihr das Gedicht
vorgelesen. Fand sie nicht so gut. Warum ? Robert,mit einem Hauch
von ewig lächelnder, Gernhardtscher Traurigkeit : "Sie hat
wohl ein Meerschweinchen." (Und dann sprach er wieder von
Dir, liebe Almut, der Liebe seines Lebens. Schreiber
dieses Blogs kann gar nicht sagen, wieviel Respekt und Hochachtung
und tiefer Verbundenheit er für Dich in diesen Tagen empfindet.
Und wie oft Robert - unter uns "Männern" A/M/F/F/H/M/K
etc. gesagt und gezeigt hat : was wäre ich ohne diese
wunderbare, traumhafte, unvergleichliche Frau... "Meine Frau.")
Lieber Robert, Göttingen wird Dich nicht
vergessen. Und wenn doch : dann werden wir, Deine vielen
Göttinger Freunde, die Lebenden und die nicht mehr Lebenden,
viel dagegen machen.
Hab Dank für Alles, und Alles
Gute da oben. Und sei nicht wieder so frech zum Herrgott; es hat
schon einen Grund gehabt, daß er Dich in seiner Nähe haben
wollte !
Literatur : Robert
Gernhardt - Im Glück und anderswo, Fischer Verlag Robert
Gernhardt - Später Spagat, Fischer Verlag, noch nicht erschienen
Der Rabe 50, Haffmans Verlag, Sonderausgabe zum 60. Geburtstag
Gernhardts Göttingen, Satzwerk Verlag
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