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Prof. Dr. Heinrich Detering
Eine Lobrede auf Max Goldt
"Ach wär' ich / der Kästner Erich", hat ein komischer Dichter
geseufzt, der unserer Stadt eng verbunden war: "Auch wär' ich gern /
Christian Morgenstern. / Und hätt' ich nur einen Satz / von Ringelnatz!
/ Doch nichts davon. Zu aller Not / hab ich auch nichts von Busch und Roth. /
So bleib' ich, wenn es mir auch schwer ward / Heinz Erhardt." Die makabre
Pointe dieser schönen Verse liegt darin, dass es ihm ja tatsächlich
schwer ward, weil der Name Heinz Erhardt, nicht ganz ohne sein eigenes
Verschulden und doch gegen seinen Willen, zum Markennamen für eine Komik
geworden war, die nichts vom Kästner Erich hatte, von Morgenstern und
Ringelnatz - während seine literarisch-musikalische Begabung ganz in
deren Nachfolge stand. Sein Leben lang hat der Poet Heinz Erhardt unter dem
Übergewicht des gleichnamigen Komikers geächzt, seine makabre, oft
melancholische Nonsenspoesie hielt dem geballten Klatsch- und
Johl-Bedürfnis eines Publikums nicht stand, auf das er doch angewiesen
war.
Max Goldt, meine Damen und Herren, hat es da um einiges leichter. Ihn als
einen Dichter des Komischen wahrzunehmen statt als einen Komiker, der
nebenbei auch dichtet, ist seinen Bewunderern von Robert Gernhardt bis Daniel
Kehlmann nicht schwergefallen; sie haben ihn nach Kräften dafür
gerühmt und die Lektüre seiner Werke empfohlen. Den "witzigsten
Schrift- steller der deutschen Sprache" hat Daniel Kehlmann ihn genannt -
aber das tat er, und dieser Umstand gibt seinem Lob den entscheidenden
Akzent, in seiner Laudatio zur Verleihung des Kleist-Preises. Nicht weil Max
Goldt etwa ein sonderlich inniges Verhältnis zu Kleist hätte - das
hat er, wenn ich ihn recht verstehe, nicht -, sondern weil er da in einer
Reihe stand mit eini- gen der bedeutenden deutschsprachigen
Gegenwartsautoren. Zu ihnen gehört Max Goldt; so wie umgekehrt zu seinen
literarischen Vorfahren Autoren gehören, die längst nicht mehr am
Leben sind. Robert Walser wäre da zu nennen, auch Karl Kraus, in mancher
Hinsicht Jean Paul, der schon genannte Morgenstern natürlich, vielleicht
sogar der melancholische Wortakrobat Heinz Erhardt. Aber in welchen
literarischen Traditionslinien und Verwandtschaftsverhältnissen auch
immer seine Leser sein Werk sehen, es wären jedenfalls genuin
literarische Verhältnisse und Linien. In ihrem Schnittpunkt gäbe es
Texte zu lesen, die oft zum Lachen sind und manchmal zum Schaudern - und
jedenfalls ungeeignet zum Trampeln und Johlen.
Und doch hat sich auch Max Goldt nicht selten der bedrängenden
Erwartung widersetzen müssen, der lustige Onkel sein zu sollen, dessen
Rolle er seit 1989 eine zeitlang in der Titanic gespielt hat. "Onkel Max"
nannte er sich da in seinen feuilletonistisch-essayistisch-erzählenden
Texten, die sich in der Knallkomik ihrer Umgebung wie wundersame und
zauberhafte Fremdkörper ausnahmen; und seine Leserinnen und Leser redete
er schalkhaft als "meine Neffen und Nichten" an. Dass dies aber eine
Schalkhaftigkeit gewissermaßen in zweiter Potenz war, ein
biedermeierlich inszeniertes Spiel mit Komik-Erwartungen und mit dem
biedermeierlichen Humorgestus selbst, dass "Onkel Max" der Name einer
schrägen Kunstfigur war: das wurde zu oft und zu leicht
übersehen.
Seither hat Max Goldt mehrmals nicht nur die Rollen gewechselt, sondern
auch die Genres. So wie der "Onkel" allzu lang an seinem Namen klebte, so
auch die Kolumne; denn Onkel Max war Kolumnist. Das allerdings war er auf
eine Art, die dieses Gebrauchsgenre in beispielloser Weise poetisiert hat und
darum hier noch einmal gewürdigt werden soll. "Kolumnieren" nannte er
die Tätigkeit, deren Ergebnisse in mehreren Büchern gesammelt
vorliegen, Büchern, die vom Feuilleton gefeiert und von den Lesern
geliebt wurden: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau, dann
- unter einer Überschrift, die die Betonkunst-Tristesse der
Fußgängerzonen mit dem Betroffenheitsjargon der Achtziger
verschmolz - Die Kugeln in unseren Köpfen, dann Ein Buch namens Zimbo:
Sie werden kaum ertragen, was Ihnen mitgeteilt wird; Okay Mutter, ich nehme
die Mittagsmaschine; Der Krapfen auf dem Sims; Vom Zauber des seitlich dran
Vorbeigehens; und das ist eine unvollständige Aufzählung. Das
Genre, das er hier zum Kunstwerk gemacht hat (angefangen mit den Buchtiteln),
ist ein Nachbar des Polgar'schen Feuilletons einerseits und der Glosse
andererseits; es pflegt eine diskrete Verwandtschaft mit der Parodie und
zielt doch auf etwas, das man "Sprachkritik" nennen könnte, wäre
nicht auch schon das seinerzeit allgegenwärtige Schlagwort von der
Kritik ein Gegen- stand seines Argwohns gegenüber Floskel und
Klischee.
Vielleicht ist Max Goldt weniger ein Kritiker als vielmehr ein language
poet. Der im Englischen gebräuchliche Terminus scheint auf den ersten
Blick ein weißer Schimmel zu sein. Aber language poetry zeichnet sich
dadurch aus, dass sie sich ganz auf das sprachliche Material konzentriert,
das sie ausstellt, vorzeigt, experimentell behandelt, und dass sie es mit
allem, was ansonsten die Welt ist, erst dadurch zu tun bekommt, dass es
hängenbleibt im Netz der Wörter und Redensarten. Außer dieser
empfindlichen Liebe zur Sprache hat sie keine Ideologie, verfolgt keine
besonderen politischen oder sonstwie weltverändernden Absichten und
besetzt keinen festen metaphysischen Standpunkt. Aber insofern sie in ihren
Sprachnetzen all die ideologischen Gewissheiten, das Gelaber, das ganze
Flickwerk aus Komik und Perfidie, Banalitäten und Schönheiten
wiederfindet, wird diese Poesie wohl oder übel auch zu dem, was man vor
gut hundert Jahren "Lebenskritik" genannt hätte.
Karl Kraus hat erklärt, es genüge nicht, keine Gedanken zu
haben: man müsse auch unfähig sein, sie auszudrücken. Dieser
Satz bezeichnet ungefähr den Gegenstandsbereich, um den es in Max Goldts
zu Beginn tatsächlich so genannten "Kulturkolumnen" ging. Die jeweils
modischen Sprachspiele führte er vor, indem er sie mitmachte,
nachmachte. Doch der eigentlich poetische Effekt seiner Texte gegenüber
dem bloß satirischen: das ist jedes Mal das wunderbare, wie von selbst
sich einstellende Umkippen der Kritik in die Entdeckung des Berückenden
im Doofen. Weil es zu den feierlichen Tugenden eines kulturkritischen
Journalismus gehörte, etwas anzuprangern und zu geißeln, darum
geißelte Max Goldt und prangerte an - das seltene "Gewerbe der
Amselvergrämung" ebenso wie die verbreitete Unsitte des Pullunderver-
spottens. Getreu seinem Grundsatz, "daß man die Angst, von anderen
Leuten für spießig gehalten zu werden, unbedingt ablegen sollte",
erklärte er es zum "Sinn meiner Existenz ..., fiesen Existenzen Kontra
zu geben", gegen das Hässliche und Böse, nein: in ihm das Gute und
Schöne zu finden.
Es ist jüngeren Lesern schwer zu erklären, wie hinreißend
für uns, die beharrlich als "Lesefröschchen" Angeredeten, ein Satz
war wie: "Der Gedanke, daß Rudolf Scharping und Konstantin Wecker
einander interessieren, ist total süß"; wie die Freude tagelang
vorhalten konnte über die Mitschriften mitgehörter Dialoge zum
Beispiel in der S-Bahn, in der ein männlicher Teenager zum anderen
über das auffallende Schuhwerk eines weiblichen Teenagers bemerkt: "Voll
die Botten ey, die Alte"; wie beglückend 1998 ein Satz wirkte wie: "Wenn
Krieg ist, leiden die Kinder am meisten. Wenn Design ist, leiden die Lampen
am meisten." Max Goldts Kolumnen zeigten uns inmitten der Kohl-Jahre die
beglückenden Seiten des Dämlichen; sie wurden zur Poesie des noch
neuen Hochglanzmagazin- und Privatsender-Zeitalters. Wer nie sein Brot beim
Zappen aß, verstand nicht, wieso die Themen so plötzlich und
wundersam wechselten, von Inge Meysel zu Whitney Houston, von der
Waschmittelwerbung zu diversen kulturkritischen Jargons. Wie kommt Max Goldt
zum Beispiel von Mantafahrern auf Yehudi Menuhin? Da seine bevorzugte
Bewegungsart das leise "Huschen" ist, unterbricht er sein Nachdenken
über die Mantafahrer unvermittelt durch das Wort "Geigen". Punkt,
husch. "Apropos Geigen: Der weise Geiger Sir Yehudi Menuhin..." Es ist, als
hätte eine der Gestalten aus Morgensterns Galgenliedern sich ans
Kolumnieren gemacht.
Aber die Poesie fing mit solchen Verfremdungen erst an. Ganz bei sich
selber war sie erst, wo es des Doofen als eines Sprungbretts gar nicht mehr
bedurfte. Da entdeckte Max Goldt zum Beispiel die zart platzenden
Verschlusslaute in dem deutschen Wort "knospt", erinnerte an seltene
Konjunktive wie "höben" oder "büke" und den Zauber des stummen H in
dem Namen "Phnom-Penh" und formte Wunder des Wohlklangs wie: "Phnom-Penher
pennte mit Phnom-Penherin" oder "Ich wollte, man büke mir einen Kloben."
Dann machte er Entdeckungen, wo andere gar nicht hinsahen: "Was man
übrigens sehr selten sieht, sind Schwarzweißphotos von Erdbeeren."
Das ist nicht nur wahr, es ist auch auf unbestimmbare Weise schön. So
verwirrend schön wie der Umstand, dass Herr Leichner, der Erfinder der
fettfreien Schminke, auf demselben Berliner Friedhof begraben liegt wie Rudi
Dutschke.
Aber Max Goldt hatte schon längst gedichtet, bevor er die erste
Kolumne veröffentlichte, und er hat neue Schreibweisen erfunden, nachdem
es mit dem nunmehr vermaledeiten Kolumnieren endlich ein Ende hatte. Schon
Anfang der achtziger Jahre hatte er in dem Musikduo Foyer des Arts, das aus
ihm und Gerhard Pasemann bestand, eine neue, eine - sagen wir behelfsweise -
surreale Form des Chansons entwickelt, des zart absurden Liedes, das so
poetisch war, dass man diese Texte auch als Gedichte lesen kann. Einen
einzigen wirklichen Schlager hat er damals geschrieben, (Es gibt soviel)
Wissenswertes über Erlangen, und eine ganze Reihe von wenig bekannten
Liedern, zum Beispiel Wenn Bienen fliegen könnten. Als ich vor einiger
Zeit vom Reclam-Verlag gebeten wurde, meine Lieblingsgedichte vom
Althochdeutschen bis zur Postmoderne zu sammeln, habe ich auch diesen Text
aufgenommen: als Teil des roten Fadens, dessen Anfang vielleicht bei Robert
Walser zu suchen wäre (denn auch der hat solche schönen,
vergessenen Gedichte geschrieben):
Könnten Bienen fliegen
herrschte Pracht in jedem Garten
doch sie fahren Bahn und kriegen
Streit am Fahrscheinautomaten
Könnten Pferde galoppieren
gäb es Sport und Spiel und Fete
doch sie räkeln sich im Rollstuhl
und rauchen Selbstgedrehte
Könnten Herzen schlagen
schlügen sie aus lauter Liebe
doch sie rascheln nur nervös
wie jugendliche Diebe
Könnten Menschen sprechen
zerspräng die Welt in tausend Stücke
Sie sprechen nicht. Und manche springen
still von einer S-Bahn-Brücke
Könnten Bienen fliegen
flögen sie zur Himmelsmitten
Der Himmel ginge auf und Gott
würde um Verzeihung bitten.
Als er es leid war, von rippenstoßenden und augenzwinkernden Fans
als "Onkel" angebaggert zu werden oder sich im eigenen Satireblättchen
als schrulliger Einzelgänger beargwöhnt zu sehen, machte sich Max
Goldt auf die Suche nach neuen Ausdrucksformen seiner Kunst. Die Kolumne
verwandelte er in Tagebuchaufzeichnungen (Wenn man einen weißen Anzug
anhat), in Lesungen, die zu einer eigenen Kunstform wurden, halb Rezitation
halb Einpersonenstück. Er machte Hörbücher wie Schade um die
schöne Verschwendung oder Penisg'schichterln aus dem Hotel Mama. Mit dem
Musiker Stephan Winkler bildete er 1997 das Duo Nuuk; seine lyrics waren nun
zu einer auf komische Effekte fast vollständig verzichtenden, manchmal
todtraurigen Lyrik geworden:
Die Flasche ist leer
Das Elend lässt grüßen
Der Mensch bereut sein Menschsein sehr
schläft ein mit Schuhen an den Füßen
und erwacht mit Schuhen an den Füßen
Immerhin hat er Schuhe
mit denen er schläft
in denen er steht
Immerhin hat er Ruhe
Immerhin fragt ihn keiner
wie es ihm geht.
Schon früh hatte Max Goldt auch angefangen, Szenen zu schreiben; in
Bänden wie Die Radiotrinkerin und Schließ die Augen und stell dir
vor, ich wär Heinz Kluncker sind sie gesammelt. In fast jeder dieser
Szenen, die sich zum alten Sketch ungefähr so verhalten wie Max Goldts
Kolumnen zur herkömmlichen Kolumne, gleitet ein parodistisch beginnender
Dialog hinüber in ein Dramolett des Absurden. Neuerdings wiederum hat er
diese szenische Schreibweise auf eine, soweit ich sehe, beispiellose Weise
verbunden mit den Comics, die er mit dem Comiczeichner Stephan Katz im Duo
Katz und Goldt erfunden hat: Seine Comic-Stories hat er umgeschrieben in
unbebilderte Dramolette. Dazu allerdings musste eigens eine neue Letter
erfunden werden: für die Denkblasen nämlich, die Gedachtes vom
Gesprochenen unterscheiden. Max Goldt nannte diese Texte Comic-Skripts im
Dramensatz und gab ihnen den schönen Titel Räusper. Unter ihnen
sind, kurz gesagt, einige seiner besten Arbeiten; so wie die frühen
Gedichte in keiner Lyrikanthologie fehlen dürfen, so gehören diese
Comic-Skripts in jede Geschichte des Absurden Theaters. Und schließlich
- aber was heißt beim ihm schon "schließlich"? - hat er seine
Sprach-Medien-Spiele fortgesetzt bis in die Elementarteilchen der Bücher
hinein: in dem bibliophilen Band Chefinnen in langen Jeansröcken, 2014
geschaffen zusammen mit dem Buchgestalter Martin Z. Schröder.
Meine Damen und Herren: Der Dichter Max Goldt ist ein bekennender Moralist
und ein stiller Metaphysiker. Weil er erkennt, "daß alles, aber auch
wirklich alles im Leben unglaublich kompliziert und letztlich
unerklärlich ist", darum bewundert er "die Mannigfaltigkeit der Mittel,
mit der die Welt ihren Willen zur Unvollkommenheit zum Ausdruck bringt". Und
darum mündet seine Suche nach haltbaren Lebensregeln in den
bedenkenswerten Satz: "Ab und zu ist auch mal was egal."
Als Max Goldt 1958 in Göttingen-Weende geboren wurde, und noch einige
Zeit danach, trug er den Familiennamen "Ernst". Das kann man lustig finden
oder passend. Wo Onkel Max einen Spaß macht, da wird aus Ernst
Goldt. Nein, er ist kein Komiker geworden, kein goldiger Humorist und schon
gar kein comedian; zum Glück nicht. Doch er hat Komödiantisches
geschrieben wie wenige deutsche Schriftsteller seiner Zeit und
Generation. Mit ihrem Zauber des seitlich dran Vorbeigehens gehören
seine Texte zur großen komischen Literatur der deutschen
Sprache. Höchste Zeit, ihm dafür diesen Göttinger Preis zu
verleihen.
Göttingen, 20.03.2016
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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