Der E L C H -
Kleine Geschichte des...
Der ELCH gebiert sich aus langjähriger Tradition...
Göttingen ist die Stadt des Georg Christoph Lichtenberg - und
eben dieser kleinwüchsige, hochgeniale Buckel gilt nicht nur als
Erfinder des Fotokopierers und Initiator der plus- und
minus-Zeichen, sondern durch seine bis heute taufrisch
gebliebenen Aphorismen als der Oheim aller deutschsprachigen Satire.
Lichtenberg wurde allzeit von den Geistesheroen jedweder Couleur aufs
Heftigste gepriesen; aber erst in den sechziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts fanden er und sein Werk auch Eingang ins
bundesdeutsche Feuilleton und ins bildungsbürgerliche
Bücherregal.
Lag es an Lichtenbergs gigantischer Ausstrahlung ? Jedenfalls
entwickelte sich ebenfalls ab den 60ern die Provinz-Stadt Göttingen
zu einer Art Mekka der Satiriker... Gernhardt lebte hier, Bernstein
(vulgo : Prof. Fritz Weigle) lehrte hier, Max Goldt bediente in der
Samen-Abteilung von Karstadt - die Liste liesse sich endlos
fortsetzen. Was Wunder, dass Göttingen sich zunehmend mit
satirischen Veranstaltungen, Ausstellungen, Theaterstücken etc.
schmückte, und in Sachen Quantität und Qualität selbst
an die Metropolen Frankfurt und Berlin heranrückte, sie
zeitweise sogar überflügelte...
Als es 1987 an der Zeit war, das 25jährige Jubiläum der
sog. Neuen Frankfurter Schule ausstellerisch zu befeiern,
übernahm der Göttinger Kunsthistoriker WP Fahrenberg gern
diese Aufgabe, die zu Praesentationen in 52 europäischen Städten
führte (und u.a. auch den Brüdern und Schwestern in der
damaligen DDR erstmals unzensierte West-Satire vor Augen führte;
bald darauf entschlossen sich diese zu einer gewaltfreien Revolution,
bei deren Groß-Veranstaltungen gern das Plakat der Ausstellung
als Wandschmuck benutzt wurde.). Das Logo und das Plakat dieser
Ausstellung wurden mithin in Frankfurt und Göttingen erdacht;
Hans Traxler illustrierte kongenial einen Sinnspruch von F.W.
Bernstein, den dieser wiederum schon 1963 erdacht hatte. (Vgl. dazu
den sehr amüsanten Herstellungsbericht von Bernstein im Katalog
zur Ausstellung, Göttingen 1987, S. 12ff.).
Der Spruch aber lautete :
Die schärfsten Kritiker der
Elche
Waren früher selber welche.
Und ist inzwischen nach schier zahllosen Wiederholungen in
Politiker-Reden, Printmedien, Funk und Fernsehen in den
Sprachgebrauch der Deutschen übergegangen.
Aber zurück in die kleine Uni-Stadt Göttingen, wo man in
den 90er Jahren sich gern für die eigene Vergangenheit loben
wollte und in verschiedenen Gremien über einen zu gründenden
Satire-Preis diskutierte. Zunächst erfolglos. Auch schreckte das
Beispiel des Wilhelm-Busch-Museums in Hannover ab, das den Versuch
gestartet hatte, einen "Deutschen Karikaturen-Preis" zu
initiieren; dort hatte eine hochrangig besetzte, aber fachlich eher
ahnungslose Jury einen Preisträger gekürt, dessen
"Sieg-Werk" - wiederum in Göttingen - als ein bissel arg
abgekupfert enttarnt wurde; die bundesdeutsche Presse geizte nicht
mit Häme und Spott, der Preis wurde schnellstens wieder
begraben.
Die Idee selbst blieb aber praesent. Und da begab es sich im Herbste
des Jahres 1997, dass Satire-Altmeister Chlodwig Poth im Alten
Rathaus zu Göttingen mit einer Retrospektive geehrt werden
sollte - ausgerechnet jener Poth, der bis dato gradezu
stiefmütterlich behandelt worden war, was ehrwürdige Preise
anging (dies änderte sich später erheblich).
Längerer Diskussionen überdrüssig, beschlossen
Fahrenberg und Hilmar Beck, der Leiter des Göttinger Kulturamts,
Satire-Freund und -Kenner, angelegentlich selber einen Preis zu stiften; und
der solle, schon weil es zu Göttingen passte wie Hummer zu
Bratkartoffeln, schlicht "GÖTTINGER ELCH" heißen. (Die
Namensfindung erfolgte with a little help from the friends
Sabine Demir, Vera Ilse und Axel Schüler-Bredt). In Windeseile
wurde eine massiv-silberne ELCH-Brosche beim Juwelier ORFEO in
Auftrag gegeben und eine schwer-altdeutsche Urkunde aufgesetzt und
gemalt; dazu kam als Sach-Preis ein Angebinde von 99 Dosen
schwedischen ELCH-Fleisches (eine ironische Anspielung auf einen
bekannten Literaturpreis, der mit ähnlichen Haufen Rotweins
dotiert ist). Tete Böttger, Kunst-Verleger und Mäzen,
ergänzte großherzig um einen Geldpreis in Höhe von
5.555.55 DM ("damit arme Satiriker auch mal Fünfe grade sein
lassen können...").
Poth war begeistert. Die Presse hatte Futter. Die Kollegen vergingen
vor Neid.
Der ELCH ward geboren...
Um illuminatischen Verschwörungstheorien Stoff zu geben, wurde
die Anzahl der Jury-Mitglieder (zunächst) auf fünf
festgesetzt. Zu Beck, Böttger und Fahrenberg kamen mit
geringfügiger Verzögerung noch hinzu : Martin Sonntag,
Leiter der CARICATURA in Kassel; Achim Frenz, Leiter des Museums für
Komische Kunst Frankfurt am Main. In den ersten ELCH-Jahren wurde dieser feste
Kern von gänzlich unabhängigen Szene-Afficionados jeweils durch
den Vorjahres-Preisträger ergänzt; die "Alt-ELCHE"
hatten und haben insgesamt kein Abstimmungsrecht, werden aber
regelmäßig um Vorschläge und Anregungen gebeten, die
auch gern und in Fülle gegeben werden.
2008 wurde die Jury umgebildet: Tete Böttger schied aus. Neu hinzu
kamen Antje Kunstmann, nicht nur von Elchen hochgeschätzte Verlegerin
aus München, Hans Zippert, ehemaliger Chefredakteur der "Titanic",
Publizist und Kolumnist aus Oberursel sowie Peter Köhler, Journalist
und Schriftsteller aus Göttingen, der im Sommer 2006 mit seiner in der
taz erschienenen Satire auf den polnischen Staatspräsidenten Lech
Kaczyński, "Polens neue Kartoffel", eine deutsch-polnische Krise
entfesselte. 2016 stieß schließlich Christoph Oppermann, ehemals
einer der Macher des "Wilhelm-Busch-Preises" und nun stellvertretender
Chefredakteur des Göttinger Tageblatt, zum Juroren-Rudel. Eine
Änderung ganz anderer Art erfolgte 2017: trotz aller Liebe zu den
traditionellen Dosensuppen beschloß man im angesagt vegan-frutarischen
Zeitalter und im Zeichen von Vogelgrippe, Schweinepest, Massentierhaltung
sowie der neu entdeckten "Seele der Tiere" deren zumindest zeitweilige
Abschaffung als primäres Wildfutter.
Immer wieder wurde in der Vergangenheit und wird in der Gegenwart
nach den Kriterien der "ELCH-Vergabe" gefragt. Nachzulesen sind
diese in einfacher Form in den Statuten der ELCH-Jury : auszuzeichnen
sei "ein Lebenswerk satirischer Provenienz" und/oder "eine
satirische Multibegabung", das/die nachweislich erhebliche Spuren
in unserer Gesellschaft und in unserem Alltag hinterlassen hat.
Von Fall zu Fall führt dies natürlich zu ausgiebigen, aber
zumeist nicht sonderlich kontroversen Diskussionen...
Die ELCH-Juroren verstehen das Geschäft mit der Satire in allen
ihren Ausprägungen zuallererst als "Handwerk" - erlernbar,
verifizierbar und völlig ungebunden an den sogenannten
"Geschmack" auch klar bewertbar. Die "handwerklichen"
Fähigkeiten (und ggbf. auch ihre Überwindung) eines
Kandidaten müssen außer Zweifel stehen, um ihn zum
Kandidaten werden zu lassen. Kommen dann noch Innovation,
gesellschaftliche Relevanz, Beständigkeit, Weiterentwicklung und
schließlich "Genie" hinzu, hat der Adept sein Tier schon
fast am Revers...
Dies in Kürzest-Fassung zu den Erwägungen, mit denen sich
ELCH-Juroren ein ums andere Mal herumplagen müssen. Warum die
bisherigen ELCHE zu solchen wurden, ist den ausführlichen
Begründungen der jeweiligen Verleihungs-Urkunden zu entnehmen...
Sinn und Zweck des ELCH war und ist es, einen Blick in zukünftige
Geschichtsbücher zu werfen : Der ELCH bemüht sich um die
Beantwortung der alten Humanoiden-Frage :
Was wird bleiben ?
Als ganzes Kapitel, oder als beachtenswerte Fußnote...
Bei den Entscheidungen der Jury, so subjektiv sie vielleicht anmuten
mögen, steht nicht der Zeitgeist Pate; nicht der Massengeschmack
und nicht momentaner Erfolg sind die Parameter, nach denen die Jury ihre
Urteile zu fällen bemüht ist -
sondern Können, Charakter und Wirkung.
Dennoch übernimmt die Jury keine Gewähr für die
Richtigkeit ihrer Entscheidungen -
Aber wir arbeiten daran !
Betrüblicherweise entschloss sich WP Fahrenberg, der den ELCH
maßgeblich mitprägte, im Sommer 2017, aus der Jury und dem
ELCH-Geschehen zurückzuziehen. "20 Jahre wären genug, mögen
sich nun Jüngere plagen." Und war bislang nicht umzustimmen ...
Das Gleichnis
Wie wenn da einer, und er hielte
Ein frühgereiftes Kind, das schielte,
hoch in den Himmel und er bäte :
"Du hörst jetzt auf den Namen Käthe !" -
Wär dieser nicht dem ELCH vergleichbar,
der tief im Sumpf und unerreichbar
nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht
und dabei stumm den Tag verflucht,
an dem er dieser Erde Licht...
Nein ? Nicht vergleichbar ? Na, dann nicht !
Robert Gernhardt, ELCH-Preisträger 1999
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