Peter Baumann
Elch-Preis-Laudatio für Gerhard Glück
1. Begrüßung
Sehr verehrte Damen und Herren,
Sie mögen sich fragen, wie einer - und dann noch einer mit einem so gewöhnungsbedürftigen Akzent! - dazu kommt, sich hier als Fachmann in Sachen Glück aufzuspielen.
Nun, ich habe das P E C H, den Glück zu kennen.
Das rächte sich, nachdem die Elch-Jury ihren Preisträger erkoren hatte und es galt, die Rolle des Lobredners zu besetzen:
Hier im Deutschen Theater löst man solche Besetzungsprobleme in der Regel ganz einfach: der Regisseur trommelt seine Truppe zusammen, schaut sich in der Runde um, streckt seinen Zeigefinger aus und sagt:
SPIEL DU DEN BLÖDEN!
Gerhard Glück hat gestanden, sich einer weniger professionelle Methode bedient zu haben. Er habe, sagt er, alle, die ihm eingefallen seien, um einen imaginären runden Tisch versammelt und zur Flasche gegriffen - nicht SO, sondern SO. - Dort, wo der Hals der kreisenden Flasche zum Halten kam, saß angeblich ich - dumm gelaufen!
2. Namensglück / 3. Kindheit & Jugend in Frankfurt
Natürlich ist es kein Pech, sondern ein großes GLÜCK, mit Gerhard Glück befreundet zu sein.
Aber ich möchte Ihnen ein paar Dinge über den Menschen erzählen, der sich hinter dem Komischen Künstler verbirgt, der heute ausgezeichnet wird.
Und da kann ich Ihnen als Erstes verraten, dass sich bei Gerhard Glück sämtliche Nacken-Haare gesträubt haben, als ich der Versuchung erlag, mit seinem ungewöhnlichen, aber angeborenen Familiennamen zu spielen.
Gerhard Glück hasst diese Kalauer, die ihn ein Leben lang begleiten.
Schon seine Lehrer liebten es, sich auf seine Kosten zu amüsieren ("Pech gehabt, Glück!") und gaben ihm damit zu verstehen, dass gute Noten nicht Glücksache seien.
4. Traumberuf Indianer / Kunst(fälscher/-erzieher)
Schlechte oder knapp genügende Zeugnisnoten haben den schlaksigen und deshalb von seinen Jugendfreunden "Gerd Spinnebein" Gerufenen allerdings nicht wirklich bedrückt - sie waren für die Verwirklichung seines Traumberufs bedeutungslos.
Gerd Spinnebein nämlich wollte INDIANER werden!
hier sehen wir ein frühes Selbstporträt. (Man beachte die Friedenspfeife, in welcher, wie aus für gewöhnlich gut unterrichteter Quelle verlautet, Pfefferminz-Teekraut mit einem Schuss Lakritze geraucht wurde!)
Dass dieses Kind auch im späteren Manne noch immer vorhanden ist, belegen Cartoons wie dieser:
Die BILD-LEGENDE dazu lautet:
"Kleine Taube zeigt ihrem Gatten, welchen Fellmantel sie sich zum Geburtstag wünscht."
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Leider ist der Beruf des Indianers im deutschen Bildungswesen nicht vorgesehen ...
... und so landete Gerhard Glück statt in der freien Prärie schließlich in der Werkkunstschule in Kassel, wo ihn das mit summa cum laude abgeschlossene Grafik-Design-Studium befähigte, für ein Scheuermittel kleine Putz-Teufelchen in schmutzige Küchenspülen zu zeichnen und Hausfrauen davon zu überzeugen, dass es nur einen Kaffee gab, der einer Krönung würdig war.
Ernüchtert erkannte der junge Grafiker, dass Schaufensterdekorationen und Falt-Kartonagen nicht sein Lebensinhalt waren, und kehrte der Reklame den Rücken - Schade eigentlich, denn wie sich zeigen sollte, hätte Gerhard Glück der Werbebranche durchaus kreative Impulse zu geben vermocht:
"Wovon Werber träumen"
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Wenn ich Gerhard Glück damals schon gekannt hätte, hätte ich ihm in dieser Situation empfohlen, KUNSTFÄLSCHER zu werden.
Seit er zur Konfirmation einen Öl-Malkasten geschenkt bekommen hatte, widmete sich Gerd Spinnebein nämlich der "seriösen Malerei".
Im ersten eigenen Atelier - im Flur der elterlichen Wohnung, die in der Folge permanent nach Terpentin-Ersatz stank - entstanden so bedeutende Werke wie "Christus am Kreuz", gemalt auf dem brüchigen Sonnenrollo einer Konditorei, oder - auf einem Tapetenrest - "Der Mann mit dem Goldhelm".
Für seine Van-Gogh- und Monet-Kopien bekam Glück von ersten Sammlern durchschnittlich hundert Mark - und von seinem Lehrer zu hören: "Ganz toll - aber 100 Jahre zu spät!"
Wenn ich Ihnen hier nun zwei der Arbeiten des jungen Epigonen zeige
ein Selbstbildnis (nicht als Indianer) von 1962/63
und
"Auf den Spuren van Goghs", Provence, April 1962, Öl auf Hartfaserplatte ...
... werden Sie verstehen, was ich mit einer möglichen Karriere als Kunstfälscher meine.
Aber für eine solche Karriere mangelte es unserem heutigen Ehrengast an der nötigten Charakter-SCHWÄCHE.
Auch seine ihm damals gerade frisch angetraute Ingrid - so muss man annehmen - hätte bei einer Kunstfälscher-Karriere kaum mitgespielt.
Aus dem Kunst-BEGEISTERTEN wurde deshalb kein Kunst-FÄLSCHER, sondern ein Kunst-ERZIEHER, der nach einem verkürzten Studium an der Gesamthochschule Kassel im Frühjahr 1976 vor seiner ersten Klasse stand.
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Gerhard Glück sagt, er habe gerne unterrichtet - und seine Schüler dürften das auch gemerkt haben. Er nahm Schule ernst, auch wenn er nebenher noch andere Dinge trieb: für Schulbuch-Verlage, Zeitschriften und Zeitungen illustrierte und sich einen Namen als Cartoonist zu schaffen begann.
5. Cartoon-Kunst / Kunst im Cartoon
Es ist hier nicht der Ort (und die Zeit), sich ausführlich zur Komischen Kunst des Gerhard Glück zu äußern - ich kann allen, die das noch nicht getan haben, nur ans Herz legen, sich die Ausstellung "Glücks heile Welt" im Alten Rathaus anzuschauen.
Es gibt da eine Komische Kunst zu entdecken, die ihre Künstlichkeit augen-zwinkernd ausstellt, indem sie jede große Geste gleich wieder ironisiert.
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Der EINFALL, die BILDLICHE UMSETZUNG und die BETEXTUNG bilden so etwas wie das Bermudadreieck des Cartoonisten Gerhard Glück, in welchem die alltägliche Logik verschwindet - bei Glück darf gedacht und gelacht werden!
Die Komische Kunst gehört - machen wir uns nichts vor! - nicht wirklich zum Kanon der deutschen Hochkultur ...
... wenn Kunst eine Oper ist, dann ist die Komische Kunst eine SEIFENOPER!
Die Halbwertzeit von Cartoons lieg bei wenigen Minuten, oft nur Sekunden. Aber es gibt auch Cartoons, an die man sich noch nach Jahren erinnert - bei mir sind das einige von Glücks Kunstparodien, in welchen er Kunstgeschichte so kenntnisreich wie komisch ins Unterhaltungsmedium Cartoon schmuggelt ...
... etwa, wenn er Vermeers "Mädchen mit dem Perlohrring" liebevoll umschminkt:
"Junge Holländerin mit alternder Quarkmaske"
Oder wenn er augenfällig macht, dass "das Rokoko eine Epoche großer Beschwingtheit" war:
Angesichts solcher Meisterweke der Komischen Kunst falle ich in den Frage-Modus:
Sind Cartoons nicht die Königs-Disziplin des Humors?
6. GG privat: Jäger & Sammler
Doch kommen wir wieder zurück zum Menschen hinter dieser Komischen Kunst:
Gerhard Glück ist kein großer Menschenfreund. In der Masse fühlt er sich eher unwohl. Ihm reichen seine Familie und ein paar Freunde.
Dass er ein Herz (und ein Auge!) für Kinder hat, kann man aus seinen Cartoons, vor allem aber aus den Bilderbüchern ersehen, die er geschrieben bzw. illustriert hat.
Der Glückliche, um den sich hier & heute alles dreht, markiert in der Öffentlichkeit gerne den Wortkargen. Er gibt sich auf freundliche Weise grantig.
Privat ist er ein ruhiger, zurückhaltender Mensch mit einem GLAUB-WÜRDIGKEITSPROBLEM: Glaubst du ihm, wenn er dir am Telefon erzählt, er habe gerade einen Waschbären zu Besuch, der mit Dachziegeln nach ihm werfe? - oder skizziert er vielleicht nur einen Einfall für einen Cartoon?
Sein bürgerliches Sicherheitsbedürfnis ist ziemlich ausgeprägt. Er hat seinen Beruf als Kunst-Erzieher geliebt und lange gezögert, bis er sich - relativ spät - dazu durchringen konnte, seine beamtenrechtlich gesicherte Stelle am Goethe-Gymnasium aufzugeben und sich ganz der Komischen Kunst zu widmen.
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Und eigentlich ist Gerhard Glück auch nachdem er den Schuldienst quittiert hatte, KUNST-ERZIEHER geblieben - denn was sind die vielen Blätter, in denen er sich mit Kunst, Künstlern und Kunstkonsumenten beschäftigt, anderes als eine hoch komische Schule des Schauens, Sehens, Staunens und Schmunzelns?!
Nehmen wir zur Illustration das vielleicht berühmteste Gemälde aller Zeiten, die "Mona Lisa":
Fast jede und jeder von uns stand schon einmal erst Schlange und dann endlich davor:
Wir alle kennen diese Situation so oder so ähnlich!
Aber einzig Gerhard Glück haben wir die umgekehrte Perspektive zu verdanken:
"Aus dem Leben der Mona Lisa"
7. Das Kind im Manne
Unser Elch-Preisträger ist - ich habe es schon angetönt - auch als Erwachsener ein Stück weit Kind, ja Kindskopf - und Indianer! - geblieben. Als "Jäger und Sammler" ist er noch heute "ständig auf der Pirsch" - nach Spielzeugautos aller Art & Größe; nach Eisenbahnen und Blechbahnhöfen:
Mehrfach ist es ihm schon gelungen, Blechspielzeug aus seiner Kindheit nochmals neu zu erwerben. - Behutsam repariert, restauriert und in Gang gesetzt, erhalten diese Trophäen bei ihm ihr Gnadenbrot "wie manches Nutztier, das in die Jahre gekommen ist."
8. Reisen
Fast so leidenschaftlich wie als Sammler und Bastler ist Gerhard Glück als NICHT-FLIEGER.
Flugzeuge meidet er wie die Pest und brettert stattdessen lieber mit dem Auto in die Bretagne oder in die Toskana.
Und es kam auch schon mal vorkommen, dass die kleine, verschworene Reisegruppe aus Kassel zum Kunst-Kucken nach Rom fliegt und Gerhard mit dem Zug hinterher reist -- - ob er deshalb diesen Anblick kennt??
"Frauengruppe unterwegs zu irgendeinem Kulturevent."
10. Tiere & Glücksschweine
Anders als Flugzeuge - und ungekochte Tomaten, vor denen ihm genauso graut! - m a g Gerhard Glück Tiere.
Ob es sich bei diesem Cartoon um ein weiteres Selbstporträt handelt, wollen wir angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht vertiefen ...
Die Bildlegende jedenfalls lautet: "Geahnt hatte er es schon immer: Eigentlich war er 'ne Dogge."
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Gut dokumentiert ist der bereits thematisierte Waschbär. F.W. Bernstein und Gerhard Glück - zwei Zeichner von hohen Gnaden! - haben schon über 100 mal über diese Kreatur korrespondiert ...
... hier über den Ihnen bereits bekannten Dachziegel-Werfer:
Das obere Triptychon von Glück - mit der Bild-Legende:
"Da kommt's / Da isses / Da, schon weg! ..."
... das untere von F.W. Bernstein.
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Eine ganz besondere Beziehung hat Gerhard Glück zu den Schweinen - genauer: zu den Glücks-Schweinen!
Der Volksmund geht zwar davon aus, dass das Glück flüchtig ist und sich nicht festhalten lässt. Dem Cartoonisten Gerhard Glück aber gelingt es alle Jahre wieder, das Glück in seine Neujahrskarten zu bannen ...
... so zum Beispiel:
11. Nochmals: Namensglück!
Lieber Gerhard, ich hoffe, dass du mir das Glücks-Schwein ohne Grunzen durchgehen lässt ...
... so wie auch eine abschließende Anekdote, die mit dir und deinem NAMENSGLÜCK zu tun hat:
Nie habe ich Gerhard Glück so glücklich gesehen, wie vor zwei Jahren, als er mich durch die Kasseler Gemäldegalerie auf Schloss Wilhelmshöhe führte, wo wir uns die große Sonderausstellung "Kunst & Co. - Komische Bilder von Gerhard Glück" anschauten.
Anschließend flanierten wir noch durch die immer wieder beeindruckende ständige Kasseler Sammlung Alter Meister.
Unter anderem besitzt das Museum zwei kleinformatige Werke von Rembrandt ...
... und DA, zwischen Rembrandts "Büste eines Mannes mit Pelzmütze" und dem Bildnis "Rembrandt mit verschatteten Augen" aus der Werkstatt des Altmeisters entdeckten wir ein kleines Werk, das bei früheren Besuchen nicht da gehangen hatte:
NEIN, NICHT "Der Mann mit dem Goldhelm", sondern "Der Mann mit dem Goldzahn", eine köstlich komische Miniatur im Stil und in den über Jahrhunderte nachgedunkelten Farbtönen des flämischen Großmeisters von unserem heutigen Elch-Preisträger Gerhard Glück!
Nicht nur wir haben geschmunzelt:
Das Aufsichtspersonal wusste zu berichten, dass es in diesem für gewöhnlich von ehrfurchtsvoller Stille geprägten Saal der Alten Meister immer wieder zu spontanen Heiterkeitsausbrüchen gekommen sei, wenn Museumsbesucher plötzlich über diese ... "Neuerwerbung" ... stolperten
... ein glückhafter Moment im Leben des Gerhard Glück ... und eine Sternstunde der Komischen Kunst!
12. Schluss
Der güldene Zahn der Zeit nagt an jedem von uns. Und nachdem Gerhard Glück nun auch noch den Elch-Test bestanden hat,
überkommt ihn - so, wie ich ihn kenne - bestimmt der Verdacht, dieser Preis für sein Lebenswerk werde ihm nur verliehen, um ihn mehr oder weniger dezent darauf hinzuweisen, dass es Zeit sei, gelegentlich aufzuhören ...
Dem ist mit NACHDRUCK zu widersprechen:
Lieber Gerhard, du hast deine Schaffenskraft als Schöpfer Komischer Kunst noch lange nicht aufgebraucht, noch längst nicht alle Bitterstoffe ausgeschieden ...
Wir alle erwarten von dir noch viele kluge Schelmenstücke ...
... die von dir erst angedachten Geschichten von "Herrn B. und seiner Welt" zum Beispiel.
Und mit einem Bild aus diesem noch unveröffentlichten aber im Alten Rathaus exklusiv ausgestellten Zyklus von Gerhard Glück:
"Herr B. schenkt seinem Fahrrad die Freiheit"
schließe ich und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit: Vielen Dank!
Ich weiß die deutsche Willkommenskultur gegenüber zugereisten Gastrednern - selbst aus so exotischen Ländern wie der Schweiz! - sehr zu schätzen ... Danke!
Peter Baumann: Elch-Preis-Laudatio für Gerhard Glück, Deutsches Theater Göttingen, 15.1.17
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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