Ernst Kahl
Auf dem Hochsitz
Eva und Ferdinand halten einander fest bei den Händen und blicken
hinunter. Im sanften Lichte zunehmenden Mondes, vor dunkler
Tannenschonung deutlich sichtbar, steht Elk, der kapitale Schaufler
und schnaubt Dampf in den Nachthimmel. Bröaarr, Bröaarr!
Bröaarr, Bröaarr hallt es zurück vom nahen Haff und
läßt die Geschwister schaudern. Es ist sein in Stimme und
Atem unverwechselbares Brunftsignal, das Elk immer und immer wieder
intoniert. Und er bleibt nicht ungehört. Schon rascheln im
Unterholz die Blätter, Äste knacken. ... "Da!" Förster
Naujoukatter wirft einen spitzen Blick hinüber zum Bukenbruch:
"Dort! Elke, die Elin! Sie tritt aus!" Aufgeregt preßt
Ferdinand seinen kleinen Feldstecher an die Augen. Ja, jetzt sieht er
sie ganz deutlich Atzung zupfen und sich tänzelnd dem
Brunftkreis nähern.
"Jung ist sie, sehr jung ... ein Schmaltier", flüstert der Alte mit
erregter Stimme: "Ihr erster Sommer."
"Und soll schon jetzt ...?", stottert Eva.
"Und wird bald die endlose Kette, von der sie doch nur ein winzig
unscheinbares Glied ist, weiterreichen in ferne Elchengeschlechter",
erwidert der Alte, wobei er sich über die Brüstung hängt
und prüfend schnuppert. Dann schaut er mit hochgezogenen Brauen
auf die erwartungsbangen Kinder: "Riecht ihr`s? Sie ist bereit! Sie
ist bereit, sie hat geschwefelt, die Witterung liegt in der Luft!"
Nach kurzer Unruhe im Krüppeleichenhain unter dem Hochsitz wechselt
ein Rudel junger Igelrüden schnellen wie geräuscharmen
Schrittes hinüber zur Fuchsbauanhöhe, des besseren
Überblicks wegen. Schon lodert die Flamme des Elks und schießt
aus ihm heraus, so rot wie das Laub der Blutbuche im Herbst und
versengt das Gras mit der Sonnenglut von Deutsch-Südwest.
Ängstlich schmiegen sich die Geschwister an den milde lächelnden Förster.
"Aber, aber", brommt der alte Naujoukatter begütigend, "wer
wird sich denn fürchten? Für die da unten ist das ganz
normal." "Ich weiß nicht", murmelt Eva, "wenn das Liebe
sein soll ..."
"Psst!" zischt der Alte und deutet erregt hinunter: "Die Hackanatz
beginnt!"
Elk hat jetzt die frische Fährte,
auf der die Elin vom Bruch hin vor den Busch gezogen. Den Windfang
tief im Boden, folgt er der Spur. Plötzlich hält er im
Furchen inne und verharrt mit bebenden Nüstern. Hier hinterließ
sie eine besonders benebelnde Witterung. Elk keucht und wieder lodert
seine Flamme und schießt feurig fordernd aus ihm heraus, wild
zuckt das ungestüme Tiergeschlecht.
"Achtung!" flüstert der Förster, "gleich wird er sich parfümieren."
Elk schaufelt wie besessen in den Grund, mal mit dem linken, dann wieder
mit dem rechten Vorderlauf, und bald ist eine Grube entstanden.
Breitläufig steht er über ihr und näßt Brunftwasser in die
Vertiefung. Dann taucht er stöhnend ein, um sich hin und her zu
wälzen.
Elk ist in Trance, betäubt vom Geruch des eigenen Brunftwassers
wirbelt sein Wollen nur um das Eine. Wankend stakt er hinaus,
umwabert von beißenden Schwaden. Die schweben ihm voraus,
scharf wie Pantherharn, und ihre Bedeutung versteht jede Kuh. So auch
Elke. Im Dunst der Brunft verliert sie alles jungfräulich
Spröde. Sie hebt den Spiegel und gestattet Elk einen Blick in
ihr obergäriges Heiligtum. Er springt, will seine Flamme löschen
in der tropfenden Frucht, will aufbocken, pfählen ...
"Er präsentiert das Gewehr", ergriffen legt der Förster die
Hand an die Mütze, salutiert. Aber auch der taube alte
Nachtgreif auf dem Granitfindling nimmt, nachdem er kurz das Gefieder
gelupft, räuspernd Haltung an und kramabüxiert.
Elk rutscht ab. Hinten ausschlagend, tänzelt die Auserwählte
einige Meter weiter, wirft kokett den Kopf zurück und stößt
mal schmachtende, mal drohende Laute aus, die die Kinder so nie
gehört. Nur Elk, der Erfahrene, kennt die Bedeutung des Onäh
Onäh und antwortet mit markerschütterndem Brööaaarrr
und kniet nieder zum allesentscheidenden Rennen. Jetzt läßt
der Förster einen Schuß aus der Büchse, worauf Elk
sich nach vorn katapultiert und mit der Brauthatz beginnt, gefolgt
vom mittelstreckenstarken Igelrüdenrudel. Auf dem Hochsitz löst
sich die Spannung, aber die kleine Gesellschaft wird erst richtig
munter, als Förster Naujoukatter eine Thermosflasche aus dem
Rucksack zieht und heißen Malventee in die Plastolintassen
gießt, die ihm die Kinder entgegenhalten. "Was nun geschieht?
Das wollt ihr doch wissen?" fragt er augenzwinkernd. "Nun, er
wird sie bald sakrutieren, und dann wird Elk tagelang bei Elke stehen
und nicht von ihrer Flanke weichen. Er wird sie sich untertan machen,
wie`s seiner Art altehernes Gesetz ist, und sie wird sich fügen
wie zuvor die anderen, die ängstlichen Schmaltiere und die
erfahrenen Alttiere, die Kälberführenden und die
Kälberlosen, die Dick- und die Magereutrigen. Und da Elke
ebensolch gute Anlagen hat wie Elk, wird sie nach neun Monaten ihr
erstes Kalb setzen, und", der Förster zwickt der kleinen
Eva neckend in die Wange, "um das brauch uns dann nicht bange
sein!"
Aus: Und ewig brüllts in den Wäldern. Königsberg 1905
(Aus : Ernst Kahl - Das letzte Bestiarium Perversum)
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