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1997 Chlodwig Poth
1999 Robert Gernhardt
2000 Gerhard Polt
2001 Harry Rowohlt
2002 Marie Marcks
2003 F.W. Bernstein
2004 Emil Steinberger
2005 Otto Waalkes
2006 Hans Traxler
2007 Ernst Kahl
2008 Biermösl Blosn
2009 Helge Schneider
2010 Olli Dittrich
2011 Josef Hader
2012 Franziska Becker
2013 Michael Sowa
2014 Georg Schramm
2015 Rudi Hurzlmeier
2016 Max Goldt
2017 Gerhard Gläck
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Chlodwig Poth 1930 - 2004

Was ihn freute... , oder : Der Fels in der Brandung

Einige persönliche Erinnerungen an den großen CHLODWIG POTH

Ein ewiger Strom :
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
und wir sinken.

Aus: Grenzen der Menschheit, von J.W. von Goethe,
einem Lieblingsgedicht von Chl. Poth

Heute, einen Tag nachdem Chlodwig Poth uns allein gelassen hat, kann ich noch nicht gewählt über seine begnadete Zeichenkunst, seine Bedeutung für die deutschsprachige Satire schreiben. Jetzt habe ich nur Erinnerungen. Und je mehr Erinnerungen es werden, um so größer, klaffender erscheint mir die Lücke, die er hinterlässt...

Das Ärgern wollte er nicht aufgeben, der Berufsärgerer. Aber es hatte in den letzten Jahren eine andere Qualität bekommen. "Ich ärgere mich über meine verdammten Augen und über diesen verdammten Krebs", erzählte er am Telefon, "aber das macht keinen Spaß mehr. Auf diese Weise alt zu werden, macht überhaupt keinen Spaß mehr." Wann hat denn Ärgern je Spaß gemacht ? "Wenn man den Hauch einer Chance sieht, dass sich was ändern lässt." Das Unausweichliche ist, satirisch betrachtet, kontraproduktiv.

Chlodwig Poth hat in seinem Leben viele Gründe gefunden, sich sinnvoll zu ärgern.

Das Nazi-Deutschland, das Adenauer-Deutschland, die Merkwürdigkeiten danach und vor dem Wiedervereinigungs-Deutschland; und dann ging es erst richtig los. Er hatte die Gabe, aktuelle wie angesammelte Wut in kreative Bahnen zu lenken, aus heißem Kopf ganze Feuerwerke ironischer und sarkastischer Spitzen abzubrennen - wenn ihm das zur eigenen Zufriedenheit gelang, war er still zufrieden, glücklich fast. Oder nicht ? Man musste ihn schon eine ganze Weile kennen, um hinter dem wuchernden Bartgeflecht die Trauer um seinen Mund entdecken zu können.

Manchmal suchte man aber auch umsonst. Irgendwann in den Achtzigern schlugen wir nach einer dieser kräftezehrenden Titanic-Buchmessen-Partys am frühen Morgen bei Poths auf (die damals noch in der Neuhaußstraße, dem Kulminationspunkt bester deutscher Satire in Frankfurt, wohnten). Chlodwig hatte plötzlich Lust auf Fernseh; und blieb an der Live-Übertragung eines Formel-1-Rennens aus Australien hängen.

Kaum mehr vorstellbar : damals ging dergleichen noch ohne jeden Schumacher, war aber schon genauso blöd. Während die wundervolle Anna in der Küche aus "Wir-haben-nix-mehr!" Berge von köstlichen Schnittchen fabrizierte, lief Chlodwig zu Höchstform auf, kommentierte mit knatternder Stimme den Rennverlauf, den Lärm, den Gestank, die Overalls, die Automobilindustrie, die Benzinverknappung, die Ölmultis, die amerikanische Expansionspolitik, und, weil das ja naheliegend war, auch gleich den Vatikan und die Wertebegriffe des untergehenden Abendlands, um dann zwingend logisch bei Niki Laudas nicht vorhandenem Ohr zu landen und zu konstatieren, dass dessen Verlust unter all diesen Gesichtspunkten eigentlich ganz in Ordnung ginge, höhere Gerechtigkeit sei und ihm irgendwie den Glauben an ein übergeordnetes Wesen zurückgebe. Nobelpreisverdächtig ! Wir anderen lagen vor Lachen buchstäblich unterm Tisch, versuchten uns wenigstens die wichtigsten der genialen Analyse-Salti zum späteren Klauen einzuprägen (keine Chance), und hofften umsonst auf einen Neustart des Rennens aus schicksalhafter Fügung, der uns vielleicht auch die Verlängerung der Pothschen Tiraden beschert hätte. Und Chlodwig, kleiner Bodhisattva, freute sich - freute sich, dass es das alles gab, dass er es auseinandernehmen und neu zusammensetzen konnte, dass wir uns freuten und dass es immer noch Schnittchen gab. Die Welt war, wie sie war, und das war gut so.

Zu Chlodwigs 70. Geburtstag gab sich der weite Freundeskreis die Ehre einer Art Festschrift, schwer retrospektiv und besinnungsduselig, wie sich das für eine Publikation im Jahr 2000 gehörte, und mit Lust und Laune lieferten die Poth-Adepten wie Gerhard Schröder, Ulrich Wickert, Ottfried Fischer, Ernst Volland und viele gute andere Unglaubliches und Unerhörtes. Letzthin Unveröffentlichtes fand ich heute beim Stöbern wieder - Harry Rowohlt hatte es so kurz und bündig gemacht, dass sein Text durchs Raster rutschte. Er sei hier mit der dankenswerten Erlaubnis seines Autors eingefügt.

Der Jammer ist ja, dass ich kaum jemand so liebe und so selten sehe wie Chlodwig Poth, allerhöchstens einmal im Jahr, beim Titanic-Empfang, und dann ist da so ein Getöse und Gedränge, und wir beide sind bereits dermaßen abgefertigt, dass wir froh sind, wenn es noch einigermaßen zum einverständigen Schweigen reicht. Alle zehn Jahre etwa lobt er mich sogar, weil ich der Vater des Erfolges seines Romans "Kontaktperson" sei. Er hatte nämlich (er ! mich !) um Rat gefragt, und ich hatte gesagt : "Schreib Du doch Deinen Scheiß-Roman alleine", "und genau das", sagt er, "hab ich dann auch getan. Das war ein sehr hilfreicher Hinweis." Und lässt ein keltisches Keckern hören, von dem man nie so genau weiß, aus welcher Richtung es kommt. Einmal hat er sogar - aus Platzmangel ! - auf meinem Schoß gesessen, aber auch das ging viel zu schnell vorbei.

Chlodwig, diesen Text im nachhinein lesend, strahlte, und sein Bart war ganz durchsichtig. "Der Text hätte aufs Cover gemusst !"

Eine ganz andere Geschichte war die, in der Chlodwig nicht einmal persönlich anwesend war, die er sich aber immer wieder gern erzählen liess.
Es begab sich nämlich zu der Zeit, als die DDR noch DDR hieß und auch so war, dass wir uns in den Kopf gesetzt hatten, ebendort die allererste West-Satire-Ausstellung mit den Herrschaften der "Neuen Frankfurter Schule" zu veranstalten, in jenem heißen Sommer vor der Wende im Jahr 1989. Im Vorfeld nicht endenwollende Diskussionen mit den Volksvertretern des Bruderlandes, mehr als einmal schien die Flinte schon im Korn zu liegen, dann doch das Okay unter vielerlei Vorbehalten : das schnuckelige Sommerpalais in Greiz, hübsch weit weg von jeder denkbaren Öffentlichkeit, sollte es sein. Unter gradezu lächerlich intensiver Bewachung machten wir uns an den Aufbau, und geraume Zeit schien auch alles gut zu laufen - bis wir ein Bild von Chlodwig Poth auspackten : "Aidsfreie Zone", von ihm seinerzeit als Reaktion auf Internierungsforderungen durch bayrische Politiker gezeichnet. Das ginge aber nun schon mal gar nicht. Die offizielle und schriftlich niedergelegte Begründung : 1. gibt es in der DDR kein Aids, weil diese Krankheit bekommen nur Kapitalisten. 2. sind da Nackte drauf, und wenn Wessies Nackte malen, ist das Pornographie, und die ist in der DDR verboten. Wir taten das, was Wessies auch in den nächsten Jahren in den neuen Bundesländern gern taten : wir stellten uns stur.
Großes Palaver. Telefonate mit den vorgesetzten Stellen in Gera und Berlin. Dann ein Entgegenkommen der Betonkopf-Fraktion : man würde Poths Blatt ausstellen. Aber : es solle ein schwarzer Stellwandkasten um das Bild gebaut werden. In der Frontstellwand sei in einer Höhe von 1.80m ein Guckloch zu bohren. Begründung für die Höhe des Lochs : zum einen könnten da dann keine Kinder reinschauen, zum anderen auch keine vietnamesischen Gastarbeiter, die ja bekanntlich alle eher kleinwüchsig seien.
Erst dem phänomenalen Wutausbruch eines russischen (!) Verlagslektors war es zu danken, dass Chlodwigs Bild dann doch offen und frei gehängt werden konnte. Die Ausstellung war ein glänzender Erfolg, und die gute alte Mundpropaganda sorgte dafür, dass kaum ein Besucher die Schau betrat, ohne die Frage zu stellen : "...und wo ist das Bild von dem Poth ?"

"Lass uns zum Garten gehen !" schlug Chlodwig an einem seiner besseren Tage vor etwa zwei Jahren vor, und ich folgte ihm gern. Wir machten einen kleinen Umweg mitten durch Sossenheim, jenem Vorort, der nicht besser und nicht schlechter ist als jeder andere Vorort, und den Poth nimmermüde und unendlich fleißig immer wieder gezeichnet hat, bevölkert mit all den Vorteils-Kalkulierern, die es so nur dort und natürlich auch überall sonst gibt. Wie ein Museumsführer wies er auf jenes Haus und dieses Geschäft, hatte all die Dorfgeschichten parat, die sein kleines Panoptikum so einzigartig und allgemeingültig sein liessen. Ein Stück durch die Feldmark - und jetzt waren es die Sträucher, die Steine, die Wolken, über die er wie über liebe Verwandte zu berichten wusste. Endlich dann der Schrebergarten, das wilde pothsche Paradies inmitten der linealgezogenen Rabatten der Nachbarschaft, Annas und Chlodwigs stiller Stolz. Seine Freunde Achim und Martin von der Caricatura hatten grad ein Gewächshäuschen gebaut, das intensiv bewundert werden musste. Chlodwig liess sich in die alte Schaukel fallen, ich zog mir einen Stuhl heran, und wir schwiegen lange. Wie er da so saß, in die Sonne blinzelnd, hin und wieder tief einatmend, ganz im Hier und Jetzt, fiel mir etwas ein. "Erinnerst Du Dich noch, was der Alfred Edel damals in diesem Interview über Dich gesagt hat, als er den ganzen Kreis der NFS in jeweils einem Satz charakterisieren sollte ?" " Ja", kam es sofort von der Schaukel, " er hat gesagt, ich sei der Fels in der Brandung." Tiefes Einatmen.
"Jetzt bin ich es wohl. Der Fels in der Brandung. Fürwahr. Fürwahr."

Aus dem Skript eines Gesprächs mit Hans Traxler, zum Buch "30-60-90" :

Traxler: Wir sind ja in den 60er Jahren unter dem Gesetz angetreten, den Staat, die Macht in Frage zu stellen. Antiautoritär zu sein. Den Großkopfeten die Luft abzulassen. Der Bundespräsident hat Dir doch mal in einer Talkshow nahegelegt, positive Satire zu machen.
Poth: Es gibt keine positive Satire.

Ich werde Dir nicht widersprechen, lieber Chlodwig. Aus Deiner Sicht hast Du gewiss recht gehabt. Es gab keine positive Satire. Aber : vielleicht hast Du sie erfunden.

Niemand, der Dich erleben durfte, blieb davon unberührt.
Und vielleicht ist das der Trost, den wir jetzt haben dürfen :
Deine Kunst, Deine Ideen, Deine Freundschaft, Deine Unbezwingbarkeit, Deine Güte sind ein Teil von uns geworden.
Wir wollen, wir werden, wir : können Dich nie vergessen.

(WP Fahrenberg, Ausstellungsmacher in Göttingen, dankbar für fast 25 Jahre Freundschaft und Zusammenarbeit.)