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| Chlodwig Poth 1930 - 2004 |  |
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Was ihn freute... , oder : Der Fels in der Brandung
Einige persönliche Erinnerungen an den großen
CHLODWIG POTH
Ein ewiger Strom :
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
und wir sinken.
Aus: Grenzen der Menschheit, von J.W. von Goethe,
einem Lieblingsgedicht von Chl. Poth
Heute, einen Tag nachdem Chlodwig Poth uns allein
gelassen hat, kann ich noch nicht gewählt über seine
begnadete Zeichenkunst, seine Bedeutung für die deutschsprachige
Satire schreiben. Jetzt habe ich nur Erinnerungen. Und je mehr
Erinnerungen es werden, um so größer, klaffender erscheint
mir die Lücke, die er hinterlässt...
Das Ärgern wollte er nicht aufgeben, der Berufsärgerer. Aber
es hatte in den letzten Jahren eine andere Qualität bekommen.
"Ich ärgere mich über meine verdammten Augen und über
diesen verdammten Krebs", erzählte er am Telefon, "aber das macht
keinen Spaß mehr. Auf diese Weise alt zu werden, macht überhaupt
keinen Spaß mehr." Wann hat denn Ärgern je Spaß gemacht ?
"Wenn man den Hauch einer Chance sieht, dass sich was ändern lässt."
Das Unausweichliche ist, satirisch betrachtet, kontraproduktiv.
Chlodwig Poth hat in seinem Leben viele Gründe gefunden, sich
sinnvoll zu ärgern.
Das Nazi-Deutschland, das Adenauer-Deutschland, die Merkwürdigkeiten
danach und vor dem Wiedervereinigungs-Deutschland; und dann ging es
erst richtig los. Er hatte die Gabe, aktuelle wie angesammelte Wut in
kreative Bahnen zu lenken, aus heißem Kopf ganze Feuerwerke
ironischer und sarkastischer Spitzen abzubrennen - wenn ihm das zur
eigenen Zufriedenheit gelang, war er still zufrieden, glücklich
fast. Oder nicht ? Man musste ihn schon eine ganze Weile kennen, um
hinter dem wuchernden Bartgeflecht die Trauer um seinen Mund
entdecken zu können.
Manchmal suchte man aber auch umsonst. Irgendwann in den Achtzigern
schlugen wir nach einer dieser kräftezehrenden Titanic-Buchmessen-Partys
am frühen Morgen bei Poths auf (die damals noch in der
Neuhaußstraße, dem Kulminationspunkt bester deutscher
Satire in Frankfurt, wohnten). Chlodwig hatte plötzlich Lust auf
Fernseh; und blieb an der Live-Übertragung eines
Formel-1-Rennens aus Australien hängen.
Kaum mehr vorstellbar : damals ging dergleichen noch ohne jeden Schumacher,
war aber schon genauso blöd. Während die wundervolle Anna in
der Küche aus "Wir-haben-nix-mehr!" Berge von köstlichen
Schnittchen fabrizierte, lief Chlodwig zu Höchstform auf,
kommentierte mit knatternder Stimme den Rennverlauf, den Lärm,
den Gestank, die Overalls, die Automobilindustrie, die
Benzinverknappung, die Ölmultis, die amerikanische
Expansionspolitik, und, weil das ja naheliegend war, auch gleich den
Vatikan und die Wertebegriffe des untergehenden Abendlands, um dann
zwingend logisch bei Niki Laudas nicht vorhandenem Ohr zu landen und
zu konstatieren, dass dessen Verlust unter all diesen Gesichtspunkten
eigentlich ganz in Ordnung ginge, höhere Gerechtigkeit sei und
ihm irgendwie den Glauben an ein übergeordnetes Wesen
zurückgebe. Nobelpreisverdächtig ! Wir anderen lagen vor
Lachen buchstäblich unterm Tisch, versuchten uns wenigstens die
wichtigsten der genialen Analyse-Salti zum späteren Klauen
einzuprägen (keine Chance), und hofften umsonst auf einen
Neustart des Rennens aus schicksalhafter Fügung, der uns
vielleicht auch die Verlängerung der Pothschen Tiraden beschert
hätte. Und Chlodwig, kleiner Bodhisattva, freute sich - freute
sich, dass es das alles gab, dass er es auseinandernehmen und neu
zusammensetzen konnte, dass wir uns freuten und dass es immer noch
Schnittchen gab. Die Welt war, wie sie war, und das war gut so.
Zu Chlodwigs 70. Geburtstag gab sich der weite Freundeskreis die Ehre
einer Art Festschrift, schwer retrospektiv und besinnungsduselig, wie
sich das für eine Publikation im Jahr 2000 gehörte, und mit
Lust und Laune lieferten die Poth-Adepten wie Gerhard Schröder,
Ulrich Wickert, Ottfried Fischer, Ernst Volland und viele gute andere
Unglaubliches und Unerhörtes. Letzthin Unveröffentlichtes
fand ich heute beim Stöbern wieder - Harry Rowohlt hatte es so
kurz und bündig gemacht, dass sein Text durchs Raster rutschte.
Er sei hier mit der dankenswerten Erlaubnis seines Autors eingefügt.
Der Jammer ist ja, dass ich kaum
jemand so liebe und so selten sehe wie Chlodwig Poth, allerhöchstens
einmal im Jahr, beim Titanic-Empfang, und dann ist da so ein Getöse
und Gedränge, und wir beide sind bereits dermaßen
abgefertigt, dass wir froh sind, wenn es noch einigermaßen zum
einverständigen Schweigen reicht. Alle zehn Jahre etwa lobt er
mich sogar, weil ich der Vater des Erfolges seines Romans
"Kontaktperson" sei. Er hatte nämlich (er ! mich !) um Rat
gefragt, und ich hatte gesagt : "Schreib Du doch Deinen
Scheiß-Roman alleine", "und genau das", sagt er, "hab
ich dann auch getan. Das war ein sehr hilfreicher Hinweis." Und
lässt ein keltisches Keckern hören, von dem man nie so
genau weiß, aus welcher Richtung es kommt. Einmal hat er sogar
- aus Platzmangel ! - auf meinem Schoß gesessen, aber auch
das ging viel zu schnell vorbei.
Chlodwig, diesen Text im nachhinein lesend, strahlte, und sein Bart war ganz
durchsichtig. "Der Text hätte aufs Cover gemusst !"
Eine ganz andere Geschichte war die, in der Chlodwig nicht einmal
persönlich anwesend war, die er sich aber immer wieder gern
erzählen liess.
Es begab sich nämlich zu der Zeit, als die DDR noch DDR hieß und
auch so war, dass wir uns in den Kopf gesetzt hatten, ebendort die
allererste West-Satire-Ausstellung mit den Herrschaften der "Neuen
Frankfurter Schule" zu veranstalten, in jenem heißen Sommer
vor der Wende im Jahr 1989. Im Vorfeld nicht endenwollende
Diskussionen mit den Volksvertretern des Bruderlandes, mehr als
einmal schien die Flinte schon im Korn zu liegen, dann doch das Okay
unter vielerlei Vorbehalten : das schnuckelige Sommerpalais in Greiz,
hübsch weit weg von jeder denkbaren Öffentlichkeit, sollte
es sein. Unter gradezu lächerlich intensiver Bewachung machten
wir uns an den Aufbau, und geraume Zeit schien auch alles gut zu
laufen - bis wir ein Bild von Chlodwig Poth auspackten : "Aidsfreie
Zone", von ihm seinerzeit als Reaktion auf
Internierungsforderungen durch bayrische Politiker gezeichnet. Das
ginge aber nun schon mal gar nicht. Die offizielle und schriftlich
niedergelegte Begründung : 1. gibt es in der DDR kein Aids, weil
diese Krankheit bekommen nur Kapitalisten. 2. sind da Nackte drauf,
und wenn Wessies Nackte malen, ist das Pornographie, und die ist in
der DDR verboten. Wir taten das, was Wessies auch in den nächsten
Jahren in den neuen Bundesländern gern taten : wir stellten uns
stur.
Großes Palaver. Telefonate mit den vorgesetzten Stellen in Gera und
Berlin. Dann ein Entgegenkommen der Betonkopf-Fraktion : man würde Poths
Blatt ausstellen. Aber : es solle ein schwarzer Stellwandkasten um
das Bild gebaut werden. In der Frontstellwand sei in einer Höhe
von 1.80m ein Guckloch zu bohren. Begründung für die Höhe
des Lochs : zum einen könnten da dann keine Kinder reinschauen,
zum anderen auch keine vietnamesischen Gastarbeiter, die ja
bekanntlich alle eher kleinwüchsig seien.
Erst dem phänomenalen Wutausbruch eines russischen (!) Verlagslektors war
es zu danken, dass Chlodwigs Bild dann doch offen und frei gehängt
werden konnte. Die Ausstellung war ein glänzender Erfolg, und
die gute alte Mundpropaganda sorgte dafür, dass kaum ein
Besucher die Schau betrat, ohne die Frage zu stellen : "...und wo
ist das Bild von dem Poth ?"
"Lass uns zum Garten gehen !" schlug Chlodwig an einem seiner besseren
Tage vor etwa zwei Jahren vor, und ich folgte ihm gern. Wir machten
einen kleinen Umweg mitten durch Sossenheim, jenem Vorort, der nicht
besser und nicht schlechter ist als jeder andere Vorort, und den Poth
nimmermüde und unendlich fleißig immer wieder gezeichnet
hat, bevölkert mit all den Vorteils-Kalkulierern, die es so nur
dort und natürlich auch überall sonst gibt. Wie ein
Museumsführer wies er auf jenes Haus und dieses Geschäft,
hatte all die Dorfgeschichten parat, die sein kleines Panoptikum so
einzigartig und allgemeingültig sein liessen. Ein Stück
durch die Feldmark - und jetzt waren es die Sträucher, die
Steine, die Wolken, über die er wie über liebe Verwandte zu
berichten wusste. Endlich dann der Schrebergarten, das wilde pothsche
Paradies inmitten der linealgezogenen Rabatten der Nachbarschaft,
Annas und Chlodwigs stiller Stolz. Seine Freunde Achim und Martin von
der Caricatura hatten grad ein Gewächshäuschen gebaut, das
intensiv bewundert werden musste. Chlodwig liess sich in die alte
Schaukel fallen, ich zog mir einen Stuhl heran, und wir schwiegen
lange. Wie er da so saß, in die Sonne blinzelnd, hin und wieder
tief einatmend, ganz im Hier und Jetzt, fiel mir etwas ein.
"Erinnerst Du Dich noch, was der Alfred Edel damals in diesem
Interview über Dich gesagt hat, als er den ganzen Kreis der NFS
in jeweils einem Satz charakterisieren sollte ?" " Ja", kam es
sofort von der Schaukel, " er hat gesagt, ich sei der Fels in der
Brandung." Tiefes Einatmen.
"Jetzt bin ich es wohl. Der Fels in der Brandung. Fürwahr.
Fürwahr."
Aus dem Skript eines Gesprächs mit Hans Traxler, zum Buch "30-60-90"
:
Traxler: Wir sind ja in den 60er Jahren unter dem Gesetz angetreten,
den Staat, die Macht in Frage zu stellen. Antiautoritär zu sein.
Den Großkopfeten die Luft abzulassen. Der Bundespräsident
hat Dir doch mal in einer Talkshow nahegelegt, positive Satire zu
machen.
Poth: Es gibt keine positive Satire.
Ich werde Dir nicht widersprechen, lieber Chlodwig. Aus Deiner Sicht hast
Du gewiss recht gehabt. Es gab keine positive Satire. Aber : vielleicht
hast Du sie erfunden.
Niemand, der Dich erleben durfte, blieb davon unberührt.
Und vielleicht ist das der Trost, den wir jetzt haben dürfen :
Deine Kunst, Deine Ideen, Deine Freundschaft, Deine Unbezwingbarkeit,
Deine Güte sind ein Teil von uns geworden.
Wir wollen, wir werden, wir : können Dich nie vergessen.
(WP Fahrenberg, Ausstellungsmacher in Göttingen, dankbar für
fast 25 Jahre Freundschaft und Zusammenarbeit.)
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